Dez. 2021: Aus dem Gebiet der Proktologie

Dezember 2021: Aus dem Gebiet der Proktologie

Diagnose: Hämorrhoidalleiden Stadium III.

Vorwurf:

Der Patient erhebt folgende Vorwürfe gegenüber dem operierenden Krankenhaus:

  • Es habe vor der OP keine ausreichende Diagnostik stattgefunden.
  • Die Aufklärung sei mangelhaft gewesen.
  • Die Operation wurde entgegen seiner Vereinbarung mit dem Operateur durchgeführt.
  • Für die Operation gab es keine hinreichende Indikation.
  • Anhand des Ergebnisses und der Folgen stelle sich ihm die Frage, ob die Operation nach dem allgemeinen anerkannten fachlichen Standard durchgeführt worden sei.
  • Bei der sich anschließenden stationären Behandlung seien eindeutige Anzeichen der Komplikation ignoriert worden.

Sachverhalt:

Der Patient stellte sich in einem Krankenhaus wegen seit Jahren bestehender, rektaler Blutungen vor. Die Untersuchung des Rektums war wegen starker Schmerzen und Verspannungen nicht möglich, sodass ein erneuter Termin zur diagnostischen Rektoskopie unter Sedierung vereinbart wurde.

Zudem erfolgte eine Aufklärung über einen operativen Eingriff bei Hämorrhoiden mit dem Zusatz: "ggf. Milligan-Morgan, ggf. LONGO". Angekreuzt sind die Methoden "nach Milligan-Morgan" und die "Hämorrhoidopexie" mit den Arztanmerkungen zum Aufklärungsgespräch: "Schließmuskeldysfunktion, Blutung, Nachblutung, Infektion, Allergie, Thrombose". Die Einwilligungserklärung wurde von dem Patienten unterschrieben.

Es wurde die Operation nach LONGO durchgeführt, nachdem die zuvor durchgeführte Rektoskopie bis 10 cm durchgeführt wurde bei Restverschmutzung des oberen Rektums. Die Operation nach LONGO erfolgte bei der Diagnose "Hämorrhoidenkranz III. Grades".

Postoperativ kam es zu stärkeren Schmerzen und einem Harnverhalt.

Wegen starker Schmerzen suchte der Patient ein weiteres Krankenhaus auf. Hier wurde eine Insuffizienz der Klammernahtreihe nach LONGO-Operation festgestellt und diese operativ behandelt.

Wegen weiter bestehender Beschwerden erfolgten Vorstellungen in anderen Kranken-häusern.

Von Seiten des operierenden Krankenhauses wird die Meinung vertreten, dass die Operation nach den allgemeinen gültigen Standards durchgeführt worden sei und ebenso die Nachsorge postoperativ. Über die möglichen Komplikationen sei der Patient aufgeklärt worden.

Gutachten: Der Gutachter stellt Fehler und einen fehlerbedingten Schaden fest.


Bewertung der Haftungsfrage

Sachverhalt:
Es wird der Sachverhalt gemäß des Gutachtens zugrunde gelegt.

Medizinisch ergibt sich folgende Bewertung:
Die unmittelbar präoperativ in Narkose durchgeführte Rektoskopie ergab die Diagnose eines Hämorrhoidalleidens Stadium III, die leitlinienentsprechend durch eine Stapler-Hämorrhoidopexie nach LONGO behandelt werden kann. Die Operation war somit indiziert.

Aus dem Operationsbericht geht hervor, dass die Tabaksbeutelnaht "ca. 1-2 cm oberhalb der Linea dentata vorgelegt" wird und die Operation komplikationslos beendet wurde.

Bereits 1999 hat die Gruppe um Prof. Dr. Alexander Herold u. Dr. Jan Kirsch aus dem Enddarmzentrum Mannheim darauf hingewiesen, dass die Tabaksbeutelnaht 3-5 cm oberhalb der Linea dentata gelegt werden muss. Auch in der internationalen Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Nahthöhe eingehalten werden muss und Komplikationen nach der LONGO-Methode umso häufiger auftreten, je tiefer die Klammer-nahtreihe zu liegen kommt. Typische Symptome sind dann – wie auch vom Patienten angegeben – die unmittelbar postoperativ aufgetretenen Beschwerden im Enddarmbereich und die Stenose durch die Nahtreihe sowie die Kontinenzstörung im Sinne einer Stuhl-Drang-Symptomatik.

Die präoperative Aufklärung erfolgte einen Tag vor der Operation sowohl über die Enddarm-spiegelung in Narkose als auch über die möglichen geplanten operativen Eingriffe bei Hämorrhoiden. Die dokumentierte Patientenaufklärung von der Firma proCompliance dokumentiert die Aufklärung über die Standardmethode nach Milligan-Morgan und die Klammermethode mit dem Stapler. In der Einwilligungserklärung unterschreibt der Patient, dass er über die geplante Operation, Art und Bedeutung des Eingriffs, Risiken und mögliche Komplikationen, Erfolgsaussichten, Behandlungsalternativen, über Neben- und Folgeeingriffe sowie eventuell erforderliche Erweiterungen des Eingriffs in dem Aufklärungsgespräch ausführlich informiert wurde. Dabei konnte er alle ihm wichtig erscheinenden Fragen stellen. Er hatte keine weiteren Fragen, fühlte sich genügend informiert und willigte daher in die geplante Operation ein. Außerdem war er mit unvorhersehbaren, medizinisch erforderlichen Änderungen oder Erweiterungen des Eingriffs ebenfalls einverstanden. Es finden sich keine Angaben in dem Aufklärungsbogen, dass der Patient keine weiteren chirurgischen Maßnahmen wünsche.

Die Aufklärung erfolgte somit dem Standard entsprechend.

Die postoperative starke Schmerzsymptomatik – bedingt durch die tiefe Nahtreihe – war deutlich intensiver und langanhaltender als die eingriffsimmanente typische Schmerzkomplikation, die auch bei sorgfältigstem Vorgehen nicht gänzlich vermieden werden kann. Auch das Ausreißen der Klammernahtreihe ist eine oftmals eingriffsimmanente technische Komplikation, die in der Literatur häufiger zu finden ist, wenn durch die zu tief gelegene Klammernahtreihe eine relative Enge die postoperative Defäkation erschwert.

Eine Besserung dieser Symptomatik ist nur möglich durch einen erneuten operativen Eingriff. Eine solche Therapieempfehlung wurde dem Patienten gegenüber von den nachbehandelnden Krankenhäusern erläutert und angeboten. Von dem Patienten wurden diese Behandlungsoptionen nicht wahrgenommen.

Nach Aktenlage besteht unverändert eine Stuhlentleerungsstörung mit Urge-Symptomatik und analen Schmerzen bei einem Verdacht einer Analkanalstenose als Folge der fälschlicherweise unmittelbar oberhalb der Linea dentata angelegten Klammernahtreihe bei der Operation.

Gesundheitsschaden:

Bei korrektem Vorgehen wäre nach ärztlichen Erfahrungen mit folgendem Verlauf zu rechnen gewesen:

  • Bei korrekt angelegter Naht 3-5 cm oberhalb der Linea dentata wären die typischen postoperativen, nicht zu vermeidenden Störungen nach einer Stapler-Operation aufgetreten.

Durch das fehlerhafte Vorgehen in Form der zu tief angelegten Nahtreihe ist es zu folgenden zusätzlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen gekommen:

  • ausgeprägte Stuhlentleerungsstörung mit Urge-Symptomatik
  • anale Schmerzen, verstärkt bei der Defäkation.

Für das weitere Vorgehen wird auf Folgendes hingewiesen:

  • Es besteht keine Bindung an unsere Entscheidung. Durch die Einschaltung einer Schlichtungsstelle wird der Rechtsweg nicht ausgeschlossen.
  • Die Hemmung der Verjährung endet mit Zugang dieses Schreibens.

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